Sie wollen sich vorab über mehrsprachige Erziehung informieren?
In Der Standard erscheinen regelmäßig unsere Blogbeiträge zum Thema gelebte Mehrsprachigkeit.
Sie finden auch Portraits von Menschen, die Mehrsprachigkeit besonders fördern!
In den Workshops und der Einzelberatung gehen wir auf häufig gestellte Fragen von Eltern und Pädagog*innen ein und bieten hilfreiche Antworten und Erklärungen.
Dies ist der aktuellste Blogbeitrag:
Reflexionen über den Erhalt von Volksgruppensprachen, von mehrsprachiger Erziehung und über die Rolle, die Eltern, Kindergarten und Schule dabei einnehmen
Mag.a Zwetelina Ortega, Tina Cakara
10. September 2024
Für Schülerinnen und Schüler hat die Schule wieder begonnen, und es nähert sich der Europäische Tag der Sprachen am 26. September, ein guter Anlass, um sich die Frage zu stellen, welche Rolle Eltern, Kindergarten und Schule für die mehrsprachige Entwicklung von Kindern spielen.
Für das Eingehen auf diese Frage habe ich diesmal einen sehr persönlichen Zugang gewählt. Anlass hierfür geben zwei Gründe: Zum einen feiert mein Bildungs- und Beratungsinstitut Linguamulti heuer im September sein zehnjähriges Bestehen. Zum andern hatte ich kürzlich die Ehre, mit dem Kulturpreis Mini-Metron ausgezeichnet zu werden. Mit diesem Preis werden jährlich besondere Leistungen, Projekte und Initiativen anerkannt, die die Volksgruppensprache Burgenlandkroatisch bei der jungen Generation fördern.
Die Volksgruppensprache Burgenlandkroatisch
Als ich vor acht Jahren meine Zusammenarbeit mit dem Hrvatski Centar und der bilingualen Kindergruppe begann, tauchte ich in ein neues, spannendes Feld ein. Ich beschäftigte mich mit dem Thema mehrsprachige Erziehung und Sprachbildung, aber meist war dabei eine migrationsbedingte Mehrsprachigkeit im Fokus meiner Arbeit. Durch die bereichernde Kooperation mit der bilingualen Kindergruppe Viverica bin ich in die Welt der österreichischen Volkssprachen eingetaucht, und durfte viele wertvolle Erfahrungen sammeln. Bei den gemeinsamen Bemühungen der Pädagog:innen, der Eltern und meiner selbst geht es darum, diese einzigartige Sprache, das Burgenlandkroatische, zu erhalten, eine Sprache voller lebendiger Tradition und reich an Geschichte, die mich sofort begeisterte. Mich für den Erhalt von Volksgruppensprachen einzusetzen ist für mich zu etwas Selbstverständlichem und zu einem wesentlichen Teil meiner Arbeit geworden!
Die Rettung des Burgenlandkroatischen sei aussichtslos, bekundete vor einiger Zeit ein Teilnehmer bei einem Vortrag von mir. Ist das so?
Engagement der Eltern
Ich bin mit drei Sprachen aufgewachsen. Meine eigene Mehrsprachigkeit war nicht konfliktfrei und auch nicht immer gleichmäßig und leicht, so wie wahrscheinlich bei der Mehrzahl der mehrsprachigen Menschen. Ich bin in Bulgarien geboren, mit einem bilingualen Vater, er spricht Deutsch und Bulgarisch, und einer bilingualen Mutter, sie spricht Spanisch und Bulgarisch, aufgewachsen. Dass ich alle drei Sprachen meiner Eltern beherrsche, verdanke ich ihrem Engagement und einigen Entwicklungen in meinem Leben, die sie angeschoben haben. Man weiß eben nie so genau, was die Zukunft bringt, und plötzlich lebten wir in Wien, und die Tochter entscheidet sich, Hispanistik zu studieren. Der bisweilen unerwartete und doch geplante Erhalt der Sprachen in einer Familie durch die Weitergabe an die eigenen Kinder, ist das nicht die Basis für den Erhalt jeder Sprache, auch der Volksgruppensprachen? Mit einem positiven Blick auf den Spracherhalt möchte ich Ihnen gerne etwas darüber erzählen, wie die Volksgruppensprachen in mein Leben kamen.
Ich war eine sehr spracheninteressierte Schülerin, aber besonders gute Noten in den Sprachen hatte ich nicht, obwohl ich Sprachen liebte, und ich liebte es, zu schreiben und zu lesen. Meine Französischlehrerin meinte, ich wolle sie mit dem eingestreuten Spanischen hinters Licht führen, und schrieb immerzu "Genügend" unter meine Schularbeiten, und in Englisch hatte ich meistens auch nur einen Vierer, meine Lehrerin meinte, weil ich so schön erzählen könnte, nur deshalb hätte ich kein "Nicht genügend". Mit siebzehn, also kurz vor der Matura, reiste ich mit meinem Vater nach Südafrika. Und kam zum ersten Mal in meinem Leben mit den afrikanischen Sprachen in Berührung. Ich war fasziniert von den Klängen und von deren Musikalität! Besonders beeindruckte mich die Sprache der Xhosa.
Voller Euphorie erklärte ich meiner Englischlehrerin, dass ich in Englisch zum Thema Sprachenvielfalt in Südafrika maturieren möchte. Sie war entsetzt. Aber ich halte ihr zugute, dass sie sich trotzdem auf dieses für uns beide neue Thema einließ. Ich glaube, es war das erste Mal, dass ich bei einer Prüfung in Englisch eine bessere Note als vier hatte.
In der Schule würdigte man meine Liebe zur Mehrsprachigkeit kaum. Aber mein Geografielehrer gab mir die Möglichkeit, eine vorwissenschaftliche Arbeit über die Welt der Maya zu schreiben, mit einem sehr aktuellen Zugang und mit dem Schwerpunkt auf der Vielfalt der Mayasprachen. Inspiration dazu fand ich vor allem in den farbigen Erzählungen meiner Mutter, die damals als Soziolinguistin zu diesem Thema forschte.
Und als ich in Lissabon mein Erasmussemester absolvierte, entschied ich mich, die Minderheitensprache Galizisch zu lernen, um als Romanistin hier einen weiteren Einblick zu gewinnen. Vielleicht auch durch die besondere Verbundenheit meiner Familie, insbesondere meines Stiefvaters, zum Okzitanischen, einer Minderheitensprache in Südfrankreich, die er uns mit duftenden Gerichten von dort schmackhaft machte, ich weiß nicht genau, was der ausschlagende Moment war, aber die Sprachen von Volksgruppen auf der Welt haben mich seit meiner Jugend begeistert. Ich verdanke meine eigene Mehrsprachigkeit und die Liebe zu Sprachen meiner Familie, meinen Eltern und meinem Stiefvater.
Wie begeistert man Kinder für ihre Mehrsprachigkeit, für den Erwerb einer weiteren Sprache neben Deutsch? Sicher nicht, indem man ihnen das Gefühl gibt, diese sei weniger wert als Deutsch, wie es durch Deutschgebote an Schulen und Kindergärten passiert. Auch nicht, indem man ihnen das Gefühl gibt, ihre Mehrsprachigkeit stehe dem Schulerfolg im Wege, und sicher nicht durch Resignation, indem man sich selbst als Eltern einredet, dass es keinen Sinn hat, weil das Kind immerzu auf Deutsch antwortet.
Man begeistert Kinder durch Angebote, durch eine motivierende eigene Haltung, durch gute Bildungseinrichtungen und vor allem durch Zuwendung und Beziehung.
An dieser Stelle möchte ich aus der Autobiografie des Autors Aharon Appelfeld, "Geschichte eines Lebens", zitieren: "Die Sprache meiner Mutter war Deutsch. Meine Mutter liebte diese Sprache und pflegte sie. Die Wörter hatten in ihrem Mund eine Klarheit, als erklängen sie aus einem exotischen Glasglöckchen. Großmutter sprach Jiddisch, und das hatte einen anderen Klang, besser gesagt einen anderen Geschmack, denn es erinnerte mich immer an Kompott aus Trockenpflaumen. Unser Dienstmädchen sprach Ruthenisch, durchsetzt mit Worten von uns und von Großmutter. Mit ihr verbrachte ich viele Stunden am Tag. Sie verlangte von mir keinen Gehorsam und auch nicht, dass ich etwas auswendig lernte; sie wollte mir nur Freude machen. Ich hatte sie lieb, auch ihre Sprache."
Es ist oft sehr einfach, Kinder mögen die Person und mögen ihre Sprache. Das kann eine wunderbare Basis für mehrsprachige Erziehung, für den Erhalt von Volksgruppensprachen und für ein Bildungswesen sein, das Mehrsprachigkeit würdigt!
In meiner Arbeit finde ich immer wieder eine große Erfüllung, und ich finde mich selbst, aber die größte Erfüllung in der Mehrsprachigkeit finde ich, wenn ich meine eigenen Kinder sprechen höre, nämlich ihre drei Sprachen, mit denen ich selbst aufgewachsen bin. Und dass ich nun selbst diejenige bin, die das Wort, die Schrift und die Kultur an die jüngere Generation weitergibt.
In diesem Sinne möchte ich allen Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen, egal ob sie im Kindergarten oder in der Schule arbeiten, Mut zusprechen, die mehrsprachigen Kinder wahrzunehmen, zu fördern, zu motivieren und die Freude an der Mehrsprachigkeit mit ihnen zu leben!
Zwetelina Ortega ist Sprachwissenschafterin, Autorin, Expertin für Mehrsprachigkeit und Gründerin des Beratungszentrums Linguamulti. Dort bietet sie Beratung, Weiterbildungen und Projektkoordination für Mehrsprachigkeit und Sprachförderung an, in den Bereichen Bildung, Erziehung und Unternehmertum. Sie ist Gründerin der LIMU-Academy, des Sprachinstituts zur Frühförderung der deutschen Sprache für Kinder zwischen zwei und zehn Jahren. Ortega ist dreisprachig mit Bulgarisch, Spanisch und Deutsch aufgewachsen. In diesen drei Sprachen verfasst sie auch ihre literarischen Texte (2022 Kinderbuch "Die Umami Bande" (Amiguitos Verlag), 2012 Gedichtband "Aз und tú" (Edition Yara). Sie leitet Fortbildungen und lehrt unter anderem an diversen Pädagogischen Hochschulen in Österreich und Deutschland und lehrte an der Universität Wien. 2024 wurde sie mit dem Kulturpreis "Mini-Metron" ausgezeichnet.